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Wer schweigt stimmt zu

Ulrike Baureithel

EUROPÄISCHE AKTION »MÄNNER 
GEGEN GEWALT AN FRAUEN«

Nach dem kanadischen Vorbild sollen weiße Schleifen deutlich machen, dass häusliche Gewalt kein »Kavaliersdelikt« ist

Freitag 45
3-11-00

Wenn der Vorsitzende der Europäischen Kommission, Romano Prodi, derzeit in die Kameras posiert, wird man vergebens nach einer weißen Schleife an seinem Jackett suchen. Diese hatte ihm im vergangenen Dezember nämlich die Europaabgeordnete Lissy Gröner medienwirksam an die Brust gesteckt, um die europäische »Kampagne zur Sensibilisierung für die Gewalt gegen Frauen« einzuleiten. Mit den symbolischen »weißen Schleifen« am Revers sollten Prodi und die Abgeordneten des EU-Parlaments öffentlich demonstrieren, dass häusliche Gewalt von der Gesellschaft nicht weiterhin als »Kavaliersdelikt« hingenommen werden soll.

Der plakativen »Weiße-Schleifen-Kampagne« hatte sich im Mai dieses Jahres auch der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner (SPD), in einer landesweiten Aktion zusammen mit weiteren 90 Männern angeschlossen. Ihm folgte im August der damalige PDS-Vorsitzende Lothar Bisky, der anlässlich des Weltfrauenmarsches das Problem der häuslichen Gewalt auf die politische Agenda setzte und seine Geschlechtsgenossen aufforderte, »nicht wegzusehen«, wenn Frauen beleidigt, belästigt, misshandelt werden: »Wer schweigt, stimmt zu!«

Mag sein, dass einzelne Politiker diese Aktion aus politischer Opportunität unterstützen und Männer wie Bisky oder Höppner sich die weiße Schleife nur »anlassgebunden« anstecken; die Vorbildfunktion, die das öffentliche Bekenntnis von Prominenten gegen häusliche Gewalt hat, sollte jedoch nicht unterschätzt werden. In Köln unterstützten vergangenes Jahr beispielsweise 80 Männer aus Politik, Sport oder Showbusiness eine Plakataktion »Kölner Männer gegen Männergewalt«; doch nicht nur »Promis«, sondern vor allem Otto Normalverbraucher ist gefragt: Es geht darum, »dass Männer einräumen, dass häusliche Gewalt existiert und Frauen Opfer sind«, erklärt der in Brüssel arbeitende europäische Koordinator der Aktion, Roland Mayerl, in einem Gespräch. Gerade jüngere Männer sollen sehen, »dass Gewalt gegen Frauen nicht geduldet wird. Die Männer, die eine Schleife tragen, sagen nicht, ›ich bin ein guter Mensch‹, sondern ›ich bin gegen diese Art von Gewalt, es soll darüber gesprochen werden, ich will, dass sich diese Verhältnisse ändern.‹«

Ihren Anfang nahm die sogenannte »White Ribbon Campaign« in Kanada, als vor über zehn Jahren das Massaker an 14 Studentinnen in Montreal das Land paralysierte. Es dauerte noch zwei Jahre, bis Männer Ende 1991 das Schweigen brachen und die weltweit bislang größte Kampagne von Männern gegen Gewalt an Frauen organisierten. Millionen von weißen Schleifen, so Michael Kaufmann, ein Mitinitiator der kanadischen Aktion, sollten symbolisieren, dass Männer bereit sind, diese Art von Gewalt zu ächten und sie im Notfall zu verhindern.

Ende der neunziger Jahre schließlich »schwappte« die Idee nach Europa, insbesondere in den skandinavischen Ländern fand die Aktion Widerhall. Mittlerweile ist das Projekt EU-weit für eine Laufzeit von drei Jahren institutionalisiert, und Mayerl hofft, dass nach Österreich, der Schweiz oder Griechenland in den nächsten Jahren auch Länder wie Bulgarien oder Litauen dazu stoßen. Die Aufgabe auf europäischer Ebene besteht zunächst darin, bereits vorhandene Initiativen bekannt zu machen und zu vernetzen und den Austausch zwischen den einzelnen Ebenen - etwa zwischen Regierungen und lokalen Projekten - zu organisieren. Besondere Bedeutung misst Mayerl den lokalen Aktionen und Initiativen zu, Brüssel könne hier nur als koordinierende »Verteilerstelle« tätig werden.

In der Bundesrepublik, das berichtet Gerhard Hafner, der mit dem gemeinnützigen Verein »Mannsarde - gegen Männergewalt« die deutsche Koordination übernommen hat, wird der 25. November, der »Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen«, zeigen, in welchem Maße die Kampagne greift. In Berlin startet eine mehrere Jahre dauernde Kampagne »Gemeinsam gegen Männergewalt«, das von einem vorwiegend aus Frauenprojekten bestehenden Bündnis getragen wird und dem Vorbild der Edinburgher »Zero Tolerance of violence against women and children« und der Münchner Kampagne »Aktiv gegen Männergewalt« folgt. Auch in vielen anderen deutschen Städten sind Veranstaltungen geplant (siehe Kasten).

Vorangegangen sind in diesem Jahr bereits Aktionen, an denen sich zahlreiche Vereine von Frauen und (kritischen) Männern beteiligten: In Hameln zum Beispiel erklärte die Herren-Handballmannschaft SG VfL/BHW Hameln als Träger der Weißen Schleife, sich öffentlich gegen Gewalt einsetzen zu wollen. Gerade Sportler, aber auch Pop-Stars machen sich gut als »Zugpferde« der Aktion, weil sie für Jugendliche eine besondere Vorbildfunktion haben.

Dass es dennoch Frauen sind, die mit power die »Weiße-Schleifen-Kampagne« auf den Weg bringen, findet Hafner, der als Psychologe gewalttätige Männer berät und soziale Trainingskurse für verurteilte Männer durchführt, nicht verwunderlich: »Frauen sind ungeduldiger beim Thema Männergewalt, Männer gehen schneller zur Tagesordnung über. Sie spüren diese Gewalt durchaus, aber anders als Frauen, indirekt. In meinen Gewaltgruppen erlebe ich Männer, die erst unter den Folgen ihrer Dominanzansprüche leiden, wenn ihre Ehen zerbrechen, die Kinder sie meiden.« Doch in der Regel wird über die Alltäglichkeit von Männergewalt hinweggesehen, weil die Vorstellung herrscht, »mich betrifft das nicht. Ende der neunziger Jahre haben Männergruppen auf dem Kudamm eine Aktion gestartet, eine Art »Führerscheinprüfung für künftige Ehemänner, bei der wir die Gewaltneigung testeten.«

Von der »besonderen weiblichen Betroffenheit« sprechen auch die Statistiken: Über 40.000 Frauen suchen in der Bundesrepublik jährlich Frauenhäuser als Zufluchtsorte auf, und die Dunkelziffer häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder ist, nach Schätzungen von Kriminologen, zwölfmal so hoch. Der »Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen« sollte ursprünglich ein Gesamtkonzept bereit stellen, das Prävention, Intervention und Öffentlichkeitsarbeit umfasst.

Der politische Handlungsbedarf wird offenbar, wenn man sich die genannte Zahl vor Augen hält und den Umstand, dass häusliche Gewalt in den meisten Fällen nicht aktenkundig wird. Wenn dies in Ausnahmefällen dennoch geschieht, werden die Verfahren entweder eingestellt, oder die Täter bleiben mangels entsprechender psychosozialer Beratungsangebote auf sich selbst zurückgeworfen. Als »Skandal«, so Hafner, ist es zu werten, »dass Frauen bis heute noch aus der Familienwohnung flüchten müssen, während prügelnde Männer dort wohnen bleiben können, weil das seit Frühjahr existierende Gewaltschutzgesetz noch immer nicht verabschiedet worden ist. Erst wenn Männer derartige einschneidende Konsequenzen spüren, werden sie genötigt sein, ihr Verhalten zu ändern.«

Die Ausweisung aus der Familienwohnung, wie sie etwa schon in Österreich üblich ist, wäre eine der Regelungen, von denen sich Roland Mayerl wünscht, dass sie EU-weit übernommen werden. Denn die juristische Situation zu häuslicher Gewalt ist in den Ländern der EU sehr verschieden, und wünschenswert wäre, »dass der höchste Standard gilt.« In Kanada, erzählt er, sei es außerdem mittlerweile Pflicht, »dass sich Männer, bevor sie in die gemeinsame Wohnung zurückkehren, einer mehrere Monate dauernden ›Antigewalt-Beratung‹ unterziehen.« In den europäischen Ländern ist dies - nicht nur mangels entsprechender Angebote - Zukunftsmusik.

Gerade deshalb ist die »Weiße-Schleifen-Kampagne« ein wichtiger Baustein, um das öffentliche Bewusstsein für häusliche Gewalt zu sensibilisieren: Männer, so die Erfahrung, nehmen Kritik von Männern eher an als von Frauen. »Was wir aus Kanada wissen, ist«, so Mayerl, »dass viele Männer keine Ideale mehr haben, keine Ideen in bezug auf Familien, Frauen, Kinder.« Deshalb sieht Mayerl in der Schule ein wesentliches Gelenkstück der Antigewalt-Erziehung, nicht nur in bezug auf den häuslichen Bereich. »Wichtig ist, dass man die Aktion an die Schulen bringt, da geht es natürlich nicht um Schleifen, sondern um die Frage, wie man traditionelle Geschlechterrollen aufbricht, neue Orientierungen gibt.«

Was Mayerl - und mit ihm viele Mitstreiter dieser Kampagne - eint, ist die Erfahrung, das Schweigen zu brechen, eben nicht »in einer feministischen Veranstaltung hinten im Saal zu sitzen und zustimmend zu nicken«, sondern »sich einzumischen, etwas tun zu können.« Mitunter provoziert dies Konflikte mit Feministinnen in Nordamerika und Europa, die sich darüber ärgern, dass sie selbst Jahrzehnte lang zu diesem Thema arbeiten, ohne ernsthaft wahrgenommen zu werden, »und dann kommen ein paar versprengte Männer und füllen innerhalb einiger Wochen die Gazetten.« Dass es bisher immer noch nur einige »Versprengte« sind und männliche Gewalt nach wie vor keine Ausnahmeerscheinung, ist für die Initiatoren Anlass genug, weiter für die Kampagne zu werben. Bei ihm habe es, bekennt Mayerl nicht ohne Selbstironie, »schließlich auch viele Jahre gebraucht, bis das im Herzen angekommen ist.«

Kontakt: Mannsarde - gegen Männergewalt e.V., Kreuzbergstr. 71, 10965 Berlin, 030/7859825, e-mail: mannsarde@t-online.de

Geplante Aktionen im November

Hameln, 8. November: Podiumsdiskussion zum Thema Häusliche Gewalt

Belgien, 13. bis 19. November: La semaine du Ruban Blanc en Belgique. 25. November: Beteiligung am journée mondiale contre les violences faites aux femmes.

Lübeck, 23. November: 1000+1 Mann gegen Vergewaltigung. Podiumsdiskussion »Was können Männer gegen Gewalt an Frauen und Mädchen tun?« Veranstalterin: Notruf und Beratung für vergewaltigte Frauen und Mädchen Lübeck.

Berlin, 24. November: Start der zwei bis drei Jahre dauernden Berliner Kampagne »Gemeinsam gegen Männergewalt«

Berlin-Schöneberg: Eröffnung durch die Schirmfrau Senatorin Schöttler, inhaltliche Vorstellung der Kampagne, Kulturprogramm

25. November: Tagung MännerGEWALT - MännerVERANTWORTUNG

Wien, 24. November: Auftaktveranstaltung der White Ribbon Campaign in Österreich

Saarland, 25. November: Die Arbeiterwohlfahrt Saarland organisiert zusammen mit dem Homburger Frauenbündnis einen Infostand; weiterhin geplant ist eine Unterschriftenliste, eine Plakatwand und Zeitungsanzeigen mit Promis;

Köln, 25. November: Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen wird eine Aktion »1000 + 1 Mann für Köln« mit Information über Kampagnen und Aktionen, die in anderen Städten oder Ländern bereits gelaufen sind, stattfinden (Organisatorin: Notruf für vergewaltigte Frauen e.V., Köln).

Düsseldorf, November: Das Männerbüro Düsseldorf, Männer gegen Männer-Gewalt Köln, die Initiative mit Ausländern verheirateter Frauen, der Bereich Vorbeugung der Kriminalpolizei Düsseldorf planen Veranstaltungen zur Weiße-Schleifen-Kampagne.

Osterode, November,: Weiße-Schleifen-Aktion (initiiert durch das Frauenbüro des Landkreises).

Dresden, November: Weiße Schleifen Aktion (initiiert durch Mitarbeiterinnen des Frauenhauses)

 


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