HOME    http://www.eurowrc.org/   >  Contributions  >  EuroWRC in Deutsch

 



 

 

 

Die Männerpolitik der Männerbüros 

Gerhard Hafner (Dipl.-Psych, Berlin) 
Mannsarde

Als in den siebziger Jahren in Westdeutschland Frauenzentren, Frauenhäuser, feministische Zeitschriften und ein breites Spektrum an Frauenprojekten entstanden, wurden im Umkreis des feministischen Aufbruchs die ersten Männergruppen im großstädtischen, studentischen Milieu gegründet. Auch die neu entstandene Schwulenbewegung gab einen Impuls für die ersten Männergruppen. (Männerbilder 1976, Pilgrim 1977) Nicht selten initiierten in den Jahren um 1974 Männer die ersten Männergruppen analog zu den consciousness raising groups ihrer feministischen Partnerinnen. (Diese "das Bewusstsein hebenden Gruppen" wurden schlecht ins Deutsche als Selbsterfahrungsgruppen übersetzt).

"Ein ganzer Mann ist nur ein halber Mensch" und "Runter mit dem Männlichkeitswahn!" plakatierten die ersten Männergruppen. Als Motivation ihres Engagements verknüpften sie die Solidarität mit den unterdrückten Frauen in einer Form der Men's Liberation, wie es 1973 das Männerzentrum in Berkeley, Kalifornien, in einem Manifest formulierte: "Wir Männer wollen unsere volle Menschlichkeit zurückbekommen." Die Männer von den Zumutungen der Männerrolle zu befreien, sei eine Unterstützung der Frauenbefreiung, so die ersten Männerzeitschriften "Mannomann" und "Manns-bild" und der erste Männerkalender, die in der Mitte der siebziger Jahre in West-Berlin  herausgegeben wurden.

Feministische Denkansätze erreichten auch die Hochschulen. Die Kritik männlicher Herrschaft beschäftigte in der Folge auch männliche Studenten, und eine Reihe von sozialwissenschaftlichen Abschlussarbeiten behandelten den Mann unter geschlechtsspezifischer Sicht und verallgemeinerten ihn nicht mehr als das menschliche Wesen schlechthin.

Ab 1983 fanden jährliche Treffen von Männern aus Westdeutschland, Österreich und der Schweiz statt. Die ersten Männertagungen wurden unter großem Medieninteresse veranstaltet. Männerzeitschriften und Männerkalender erschienen nun regelmäßig. Aus dem Kreis der Initiatoren dieser Männerprojekte und Männergruppen wurden die ersten Männerbüros gegründet. In Bremen, Göttingen, Kiel firmierten sie unter diesem Namen, der zum übergeordneten Begriff avancierte. Das "Informationszentrum für Männerfragen" in Frankfurt am Main entstand aus dem Kreis der Herausgeber der männerbewegten Zeitschrift "von Mann zu Mann". "Mannege - Information und Beratung für Männer" in West-Berlin wurde u.a. von Herausgebern des Männerkalenders und der Zeitschrift "HerrMann" gegründet. Solche Projekte, die die umfassende Veränderung des Mannes auf ihre Fahnen schrieben, entstanden in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre in einer Reihe westdeutscher Groß- und Universitätsstädten. Auch die Evangelische Kirche begann, ihre traditionelle Männerarbeit und Jungenarbeit zu modernisieren. Ein Männerbüro in der Ev. Kirche in Hessen und Nassau kooperierte mit den ansonsten unabhängig arbeitenden Männerbüros.

Die Gründerväter der Männerbüros waren mit ihrer guten Ausbildung (häufig Studenten oder Hochschulabschlüsse) der Neuen Mittelschicht zuzuordnen; sie waren Bewohner der urbanen Zentren der alten Bundesländer, meist zwischen Anfang zwanzig bis vierzig Jahre alt. Grundsätzlich reagierten sie positiv und veränderungswillig auf die Modernisierungstendenzen der Geschlechterverhältnisse, insbesondere weil ihre eigene soziale Lage labil war und sie das Gefühl hatten, dass auch sie unter den herrschenden Verhältnisse litten. Forciert wurden diese Gründungen vom Interesse angehender oder frischgebackener Sozialarbeiter, Psychologen, Soziologen, etc., sich auf dem leergefegten psychosozialen Stellenmarkt einen selbstbestimmten Arbeitsplatz zu schaffen.

Ziele der Männerbüros waren in der Gründungsphase die Initiierung und Begleitung von Männergruppen sowie die Veranstaltung öfentlicher Diskussionen über männerspezifische Themen, mit denen möglichst viele Männer erreicht werden sollten. Populäre Themen waren z.B. das Verhältnis zum eigenen Vater bzw. zur eigenen Mutter, Vatersein, die männliche Betonung der Erwerbstätigkeit auf Kosten der Familie, Partnerschaft und Sexualität, Körper und Gesundheit, Homosexualität etc.

Die Balance zu halten zwischen subjektiver Betroffenheit und gesellschaftspolitischem Engagement war ein tragendes Motiv der Gründerväter der ersten Männerbüros. Dies dokumentiert sich z.T. in den Namen der Projekte, die sowohl Beratung als auch Information zu Männerfragen herausstellen. Die von vielen Männerbüros geteilte Zielrichtung war es, möglichst viele Männergruppen zu initiieren, sie zu vernetzen und damit einen gesellschaftlichen Wandel von unten einzuleiten. Die "Veränderung zu einem neuen Selbstverständnis und Rollenbewusstsein des Mannes" will beispielsweise das Münchner Informationszentrum für Männer fördern (Münchner Informationszentrum für Männer 1993). Dieses Männerbüro spricht Männer an, "die mit dem Rollenbild als Mann nicht mehr zufrieden sind".

Zum zentralen Ansatzpunkt der Arbeit der Männerbüros avancierten Partnerschaftsprobleme, zu denen Kontaktschwierigkeiten, Kommunikationsprobleme, sexuelle Probleme, Sterilisationsberatung, Trennungskrisen und - oft verdeckt - Gewaltprobleme zählen. In zweiter Linie ist der Mann als Vater ein zentrales Thema der Männerbüros: die aktive Vaterschaft, Umgangs- und Sorgerechtsprobleme, Vater-Kind-Wochenenden etc. gehören zum Grundbestand der Männerbüros. Die Ermutigung der Väter, sich mehr auf (ihre) Kinder einzulassen, ist ein zentrales Ziel der Männerbüros: Männer können ihr eigenes und das Leben von Kindern bereichern, wenn sie sich Kindern zuwenden; sie können sich sinnlicher, spontaner und weniger zweckorientiert erleben. Kinder können einen "Vater zum Anfassen" und damit ein realeres Vaterbild gewinnen. Männerbüros streichen oft das positive, lebendige Modell des Vaters für den Jungen heraus - ein Ansatzpunkt zur Gestaltung zukünftiger Männlichkeit.

Da Offenheit in Bezug auf sexuelle Orientierungen meist zu den Essentials der Männerbüros gehört, werden auch Homosexualität, Bisexualität, Transvestismus von den Männerbüros nicht abgewertet. Emotionale, sogar körperliche Gefühle zu einem anderen Mann ohne Angst vor der eigenen Homosexualität entwickeln zu lernen, gehört zum Credo der Männerbüros. Das grundlegende Selbstverständnis der Männerbüros bleibt jedoch meist dezidiert heterosexuell. Schwerpunkte der psychosozialen Arbeit liegen zum überwiegenden Teil auf heterosexuellen Partnerschaften und den Problemen, die sich durch die (potentielle) Vaterschaft ergeben. Der Austausch, manchmal auch Streit der Schwulenbewegung mit der kleinen Szene der Männergruppen, der in den siebziger und auch noch in den achtziger Jahren in Ansätzen existierte, haben sich erheblich vermindert. Auch das Thema AIDS ist in den Männerbüros so gut wie nicht existent. Die Bücher des schwulen Autors Volker Elis Pilgrim, der zu den Pionieren der Männergruppen gehörte, machten denen von Wilfried Wieck und Walter Hollstein Platz, für die Heterosexualität und die Dualität und Polarität der Geschlechter die Grundlage ihrer Analysen bilden. (Wieck 1987, Hollstein 1990)

Den Mann mit seinen Defiziten und vor allem ihn als Opfer anzusprechen ist weitaus erfolgreicher, als ihn als Privilegierter oder gar in der Verantwortung als Täter zu erreichen. So füllen sich Beratungs- und Gruppenangebote z.B. zum Thema "Als Junge sexuell missbraucht", während Männer als Gewalttäter oder Missbraucher nur mit großem Aufwand an Öffentlichkeitsarbeit in die Männerbüros kommen.

Die männerspezifische Ansprache ist ein Grundansatz der Männerbüros. In Beratungseinrichtungen im Familienbereich sind üblicherweise Männer als Klienten, zum Teil aber auch als Berater erheblich unterrepräsentiert. Das Ideal männlicher Stärke hindert viele Männer, ihre psychischen Probleme wahrzunehmen und zum Beispiel in einer Partnerschafts- oder Trennungskrise oder gar bei einer Gewaltproblematik eine Beratung aufzusuchen.

Ausschließlich männliche Mitarbeiter führen die Beratungen, Therapien und Gruppenanleitungen in Männerbüros durch. Männliche Klienten erwarten vom männlichen Berater die Kenntnis von Konflikten mit männlichen Rollenerwartungen (z.B. überhöhte Leistung bzw. Stress oder Nicht-Zulassen von Gefühlen). Günstig erweist sich, dass Männer anderen Männern ein geschlechtsspezifisches Vorbild für ein gewandeltes Verhalten geben können. Dieses Lernen am positiven Modell, das insbesondere in der Männergruppe als Peer-Group zum Tragen kommen kann, hat eine zentrale Bedeutung, wenn sich Männer langfristig ändern wollen. Nicht nur sozial unverträgliches Verhalten (z.B. Gewalt) gilt es abzubauen, sondern positive Qualitäten einzuüben und zu festigen. Als hinderlich für den männlichen Berater kann sich erweisen, wenn Konkurrenzverhalten und mangelnde Empathie zwischen Männern die Beratungssituation erschweren, und die Klienten gewohnt sind, sich Frauen auf Grund der erlebten emotionalen Rollenverteilung eher zu öffnen.

 

Neuere Tendenzen

Während die Diskussionen über die Veränderung der Männlichkeit in den siebziger Jahren vorwiegend auf studentisch dominierte Männergruppen begrenzt war, erreichten sie seit Mitte der achtziger Jahre durch populäre Bücher, Männerbuchreihen (etwa beim Rowohlt-Taschenbuchverlag), Illustriertenartikel und Fernsehsendungen alle Bevölkerungsschichten. Von dieser Welle getragen wurden die Männerbüros auch finanziell gefördert, wenn auch im geringen Umfang.

Das öffentliche Interesse an der Veränderung des Mannes hielt auch in den neunziger Jahren an, verlor jedoch seinen Neuigkeitswert. Die Werbeindustrie vermarktet nicht mehr nur die erotische Frau, sondern entdeckt den Mann und seinen Körper und visualisiert den "Neuen Mann", in dem sich die neue Sinnlichkeit am männlichen Körper mit durchaus traditionellen Sichtweisen eines männlichen Narzissmus mischen. Durch die breite gesellschaftliche Akzeptanz des Themas verloren die Diskussionsveranstaltungen der Männerbüros an innovativer Kraft und oft an Zulauf. Öffentliche Vorlesungsreihen an Universitäten, Vorträge an Volkshochschulen und Fernsehsendungen, etc. erreichen mit ihren Diskussionen ein breiteres Publikum, sowohl Männer wie Frauen, während die relativ unbekannten, kleinen Männerbüros meist mit traditionellen Bildungsformen wie Gesprächskreisen oder Vorträgen nur eine kleine Schicht ansprechen können. Auch die Initiierung von Männergruppen ist seit den neunziger Jahren längst kein Monopol der Männerbüros mehr, sondern vollzieht sich zunehmend über andere öffentliche Beratungs- und Bildungseinrichtungen, privatfinanzierte Psychotherapiepraxen oder spontan über Annoncen z.B. in Stadtzeitungen.

Der Ansatz der Gründerjahre, als Männerbüros tendenziell alle Männer ansprechen wollten, weicht einer Spezialisierung, nicht zuletzt auch angesichts der realistischen Einschätzung, dass mit wenigen Mitarbeitern und ehrenamtlichen Kräften nur ein begrenztes Segment der männlichen Bevölkerung bedient werden kann. Der Schwerpunkt verlagert sich noch mehr als zuvor auf psychosoziale Dienstleistungen, zunehmend auch auf Therapien und Workshops. Die Spezialisierung fächert die Beratungssparten auf in Partnerschafts- und Sexualitätsberatung, psychosoziale Hilfe in der Trennungs-/Scheidungssituation, Beratung bei Gewaltproblemen, die Aufarbeitung von erlittenem sexuellen Missbrauch in der Kindheit, Beratung für Väter (Geburtsvorbereitung, Sorgerechtsprobleme etc.), Workshops mit körpertherapeutischer Ausrichtung etc. 

Die Spezialisierungs- und Professionalisierungstendenz führte zur Entstehung neuer Projekte, teilweise aus dem Stamm der Mitglieder der Männerbüros. Die Arbeit der Männerbüros und ihrer spezialisierten Ableger hat sich in das psychosoziale Netz integriert. Zum einen sind sie mit ihren Workshops und Therapieangeboten bereits Teil des freien Psychomarktes; zum anderen verknüpfen sie sich eng mit den psychosozialen Diensten und erreichen damit auch Arbeiter, Arbeitslose und soziale Randgruppen, also Männer, die den mittelschichtslastigen Männerbüros bisher fremd waren. Eine enge Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Einrichtungen ist dafür unumgänglich, z.T. auch mit der Staatsgewalt in Form der Polizei, der Staatsanwaltschaft, den Gerichten und den Justizvollzugsanstalten.

Die gesellschaftspolitische Aufbruchstimmung der Gründungsphase verliert ihren Impetus zugunsten der individuumszentrierten psychosozialen Dienstleistungen, die dem Interesse nach Spezialisierung und Professionalisierung vor allem neuer Mitarbeiter entgegenkommt. Für diplomierte Fachkräfte ist es wenig attraktiv, sich lediglich um Männergruppen zu kümmern oder sie fühlen sich überfordert, Bildungsarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und therapeutische Versorgung zu kombinieren und abzudecken.

Die z.T. drastischen Kürzungen der Förderung psychosozialer Projekte durch die öffentliche Hand in den neunziger Jahren führt dazu, dass viele Mitarbeiter der Männerbüros privat- oder kassenfinanzierte Therapien, Workshops und Supervisionen anbieten. Insbesondere die neu entstandenen Therapieformen sprechen Männer der Mittelschicht an;  Körpertherapien etwa die Männer, die unter der einseitigen Betonung des Verstandes leiden. Den Männern aus den neuen Bundesländern sind die Ziele der Männerbüros lange Zeit fremd geblieben, so dass dort - quasi als Import - erst in den Achtzigern Männerbüros Fuß fassten.

Um eine Regelförderung aus staatlichen Mitteln zu erhalten, ist die fachliche Legitimierung der psychosozialen Arbeit eine unabdingbare Voraussetzung. Lediglich die genau umschriebene Beratungsarbeit und nicht das gesellschaftspolitische Engagement wird von staatlicher Seite unterstützt. Das ehrenamtliche Eintreten für eine geschlechterdemokratische Gesellschaft von Seiten der gemeinnützigen Trägervereine der Männerbüros verlor unter diesen Bedingungen an Bedeutung gegenüber der psychosozialen Arbeit, und damit tendieren Mänerbüros in ihrer alltäglich praktizierten Arbeit zur Fokussierung auf die individuelle Veränderung.

Das Fundament der Männerbüros stützt diese Individualisierungstendenz: Die Trägervereine schließen entweder explizit Frauen als Mitglieder aus oder reduzieren diese auf Alibifrauen. Frauen werden auch grundsätzlich von den jährlichen bundesweiten Männertreffen ausgeschlossen. Dass dies keine unumstößliche Notwendigkeit ist, zeigen die USA; Frauen werden in der NOMAS (National Organization for Men Against Sexism) nicht ferngehalten, sondern arbeiten darin aktiv mit.

Für Männer besitzt i.a. die Bearbeitung einer persönlichen Krise oder eines Verhaltensdefizits Vorrang vor dem Engagement für einen gesellschaftlichen Wandel. Das psychische Wachstum soll das Gefühlsleben des Mannes aus der Mittelschicht bereichern. Männerbüros engagieren sich für "die Entwicklung einer lebensbejahenden und verantwortlichen Männlichkeit". An erster Stelle steht ein "liebevoller und fürsorglicher Umgang von Männern mit sich selbst." Nach dem "aufmerksamen und zugewandten Umgang von Vätern mit ihren Kindern" steht an dritter Stelle der "gleichberechtigte und partnerschaftliche Umgang mit Frauen und Männern." (Mannege - Information und Beratung fr M„nner o.J., 2)

Für Männerbüros ist es nicht attraktiv, den harten Kern der gesellschaftlichen Veränderung anzusprechen, nämlich die Privilegien von Männern in Form von Macht und Geld, da eine in die Tat umgesetzte Gleichstellung von Frauen und Männern mit erheblichen Verlusten für Männer verbunden wäre. Wenn etwa ein Männerbüro die Väter anspricht "sich dem Leben mit Kindern umfassend und in allen Bereichen zu widmen, unabhängig von der Zeit, die dafür zur Verfügung steht" (Mannege, 12), dann übersieht diese Sicht das Fundament einer Beziehung zum Kind, die sich auch im Zeitrahmen ausdrückt. Die Konsequenz kann man in der Alltagspraxis sehen: Die Verantwortung für die Kindererziehung wird immer noch den Müttern zugewiesen und die volle Berufstätigkeit des Vaters erhalten; damit werden die Strukturen der Erwerbsarbeit zementiert. Männerbüros sind an diesem Punkt meist widersprüchlich, und zwar aus dem schlichten Grund, dass die Forderung nach Machtverlust für Männer alles andere als attraktiv ist und Männerbüros mit klaren gesellschaftlichen Aussagen ihr Klientel verlieren würden. Die Männer in die Pflicht nehmen, hieße in Konflikt mit dem Wachstumsgedanken zu kommen, auf dem sich viele Männerberater berufen.

Nichtsdestoweniger haben Männerbüros auch einige Stellungnahmen zu politischen Themen abgegeben und Aktionen in der Öffentlichkeit, etwa zum § 218 oder gegen häusliche Männergewalt, durchgeführt. Doch waren diese Manifestationen, auch das Selbstverständnis als "politische Initiative" innerhalb der Männerbüros oft heftig umstritten, weil die Beschäftigung mit Politik, oft bereits intellektuelle Auseinandersetzungen, als Gefahr einer Ablenkung von den als primär angesehenen psychischen Veränderungen gesehen wurden.

In der Regel gehen Männerbüros von einem liberalen Ansatz aus: Die Befreiung des Mannes von den als Rollenzwängen erlebten Erwartungen komme auch den Frauen zugute. Dieses hoffnungsvolle Credo setzt auf freiwillige Veränderungen, die dem einzelnen Mann eine große persönliche Bereicherung bringe, die sich wiederum positiv auf die Partnerinnen und generell auf die gesellschaftliche Stellung des weiblichen Geschlechts auswirke. Psychische Defizite (besonders im emotionalen Bereich) schon bei Jungen aber auch bei erwachsenen Männern verhindern demnach eine Emanzipation von traditionellen Rollenbildern. Sowohl Frauen wie Männer seien durch ihre jeweiligen Rollen eingeschränkt oder gar unterdrückt. "Die überlieferten einseitigen Vorstellungen von Männlichkeit pressen uns in eine Zwangsjacke, die unsere Gefühle verkümmern lässt, unsere Lebensfreude und Erlebnisfähigkeit beschneidet, uns in Freundschaften, Beziehungen und Partnerschaften behindert und uns blind macht für die wachsende Umweltzerstörung (z.B. Autowahn) und für die negativen Folgen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung." (Männerzentrum - Informationszentrum für Männerfragen e.V., Frankfurt am Main, o.J.)

Männlichkeit muss sich den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen anpassen. Dies führte bereits zu einem spürbaren Wandel: Auf der ästhetischen Ebene zu einer Zunahme an Sinnlichkeit, Buntheit und Komplexität des Männerbildes, auf der psychischen Ebene zu einer größeren emotionalen Flexibilität des Mannes. Das protestantische Ethos des selbstgenügsamen und arbeitsamen Bürgers, der seine Gefühle und seinen Körper im Zaum hält, wird durch eine sinnen- und konsumfreudigere Variante der Männlichkeit ersetzt, und daran wirken die Männerbüros im bescheidenen Ausmaß mit. Eine Modernisierung hegemonialer Männlichkeit, wie sie Barbara Ehrenreich (1984) bereits für die Playboys der fünfziger und sechziger Jahre analysiert hat, ist die Folge. Der Männerdiskurs, der in den Männerbüchern und in den Männerbüros geführt wird, hat übrigens seinen Schwerpunkt typischerweise in den Staaten, die jahrhundertelang vom Protestantismus geprägt sind, wie die USA, England, die skandinavischen Länder, Niederlande und auch Deutschland. (Brzoska/Hafner 1988)

Sozioökonomische Strukturveränderungen, politische Machtverschiebungen (z.B. die Quotendebatte) oder die Einführung von Bewährungsauflagen für gewalttätige Männer, gilt im liberalistischen Ansatz als unwesentlich, mitunter werden sie definitiv abgelehnt. Eine dezidierte Gleichstellungspolitik und damit ein politischer Ansatz wird in den von Psychotherapeuten, Sozialarbeitern etc. getragenen Männerbüros eher vernachlässigt. Die Dominanz psychosozialer Spezialisten war den Männerbüros keineswegs in die Wiege gelegt. Folgeerscheinung ist die Konkurrenz einander bekämpfender Männerberatungsstellen, wie ein Rechtsstreit um ein eingetragenes Warenzeichen zeigt ("Männer gegen Männergewalt" 1995, 5) oder der Bluff mit Titeln und Zertifikaten konkurrierender Mitarbeiter.

Betätigungsfelder jenseits der Grenzen psychosozialer Arbeit, wie die ästhetische Veränderung der Männlichkeit kommen nur als Nebensache in den Blick. Malen, Fotografieren, kreative Gestaltung werden eher außerhalb der Männerbüros eingesetzt. Die künstlerische Darstellung sich verändernder Männlichkeiten etwa im Theater, in der Literatur und nicht zuletzt in den Neuen Medien und der Bilderwelten der Werbung und der Mode gehen an den Männerbüros weitgehend vorbei.

Stattdessen findet die Suche nach den Wurzeln des Mannseins und der männlichen Identität Anklang. "Der Weg zu einer neuen Art des Mannseins führt über den Körper. Er führt durch Lebendigkeit, Blockiertheit, Angst und Erotik. Ohne eine Einbeziehung des Naturhaften und Eigengesetzlichen im eigenen männlichen Inneren ist ein erfülltes Leben ohne Selbstschädigung und Gewalt nicht machbar," so das Göttinger Männerbüro (Männerbüro e.V. Göttingen 1995). Das therapeutische Bearbeiten psychosomatischer Probleme ist ein wichtiger Bestandteil von Männerberatung. Doch der Körper wird romantisch stilisiert mittels einer "Expedition in die Wildnis unserer Körper-Seele": "Die eigene verkörperte, d.h. im Körper manifestierte Seele als eine Art Wildnis zu sehen und sich ihr zu stellen, fordert unseren Mut und unsere Entschlossenheit heraus." Auch das Männerbüro in der Ev. Kirche in Hessen und Nassau will in einem Workshop für Männer "(d)er Kraft der Männer auf der Spur" sein und in einer Entdeckungsreise nach innen und außen sich dem "'wilden Mann' in uns nähern". (Männerbüro in der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, 6)

Dieser Ansatz steht in Gefahr, die Differenzen der Männlichkeiten und die gesellschaftliche Konstruktion des Zweigeschlechtersystems durch eine Ontologisierung des "Mann-Seins" zu ersetzen. (Brod 1987, Hagemann-White 1984) Bereits der Begriff "Mann-Sein" suggeriert ein geschlechtliches So-Sein. Der "Men's Circle", d.h. der rituelle Kreis aller Männer bei Männertreffen, ist Ausdruck der Vorstellung, dass das gemeinsame biologische Merkmal "Mann" einen einigenden Kreis produzieren kann, der allerdings doch wiederum einige Männer zu Außenseitern macht. (Paaßen 1995, 9)

Nicht zum erstenmal in der Geschichte der Geschlechterverhältnisse ist Männlichkeit in eine Legitimationskrise geraten. Die männliche Dominanz gegenüber berufstätigen und finanziell unabhängigen Frauen ist ins Wanken geraten, und unsichere Jobs müssen für viele Männer den lebenslangen Beruf ersetzen. Den dadurch ausgelösten persönlichen Krisen und dem drohenden Zerfließen der männlichen Identität versuchen viele verunsicherte Männer, aber auch einige Männerbüros, in einer Suche nach den Ursprüngen zu begegnen.

Der öffentliche Diskurs über die Machtfrage in den Geschlechterverhältnissen wird von dem über die Identität verdrängt. Hier machen Männerbüros den Wandel des Zeitgeists mit, doch während beeinflusst durch den postmodernen Diskurs die Vervielfältigung und die Grenzüberschreitungen der Identitäten positiv besetzt werden, benutzen Männerbüros das Konstrukt "Identität" in ihrer grenzsichernden Funktion. Vor allem Jungen sollen in der Suche nach einer eindeutigen Geschlechtsidentität unterstützt werden - dies wird als eine zentrale Aufgabe des Vaters im Erziehungsprozess betrachtet. Trotz bester Absicht, nicht Herrscher zu sein, aber dennoch dezidiert männlich, ist die Frage der männlichen Identität m.E. immer mit der Machtfrage verwoben.

Die gegenwärtigen intellektuellen Diskurse fokussieren nicht mehr so sehr die Frage von Macht oder Ohnmacht von Frauen, sondern sie loten die Differenz in der Konstruktion der Geschlechterverhältnisse aus. Doch die Diskussionen über die Aufsplitterung der geschlechtlichen Identitäten, die von feministischen Intellektuellen in den neunziger Jahren heftig geführt und an den Universitäten von Studenten aufgegriffen werden, gehen in Deutschland an den Männerbüros vorbei. (Butler 1991, Rutherford 1992) Die Diskursverschiebung von den Sozial- zu den Kulturwissenschaften kann schon im Personal und den Mitgliedern der Männerbüros keinen Niederschlag finden. Der Fokus auf die Grenzkulturen der Travestie, der Transsexuellen, der Überschreitungen der Mode, die fluktuierenden visuellen Repräsentationen der Geschlechter in den Neuen Medien - all das ist kein Thema für die Männerbüros, die an der Suche nach der einen Identität und dem Mann-Sein festhalten, wo die Suche nach einer Vervielfältigung von Identitäten, Männlichkeiten und Geschlechtern verführerischer, aber nicht unbedingt gewinnbringender sein könnte.

Literatur

Brod, H. (Hrsg.) (1987): The Making of Masculinities. Boston (Allen & Unwin)

Brzoska, G./ G. Hafner (1988): Möglichkeiten und Perspektiven der Veränderung der Männer, insbesondere der Väter. Forschung, Diskussionen und Projekte in den USA, Schweden und den Niederlanden. Literaturstudie im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, Bonn

Butler, J. (1991): Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: (Suhrkamp)

Connell, R.W. (1987): Gender and power. Cambridge (Großbrit.) (Polity)

Ehrenreich, B. (1984): Die Herzen der Männer. Reinbek (Rowohlt)

Hagemann-White, C. (1984): Thesen zur kulturellen Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit. In: B. Schaeffer-Hegel / B. Wartmann (Hrsg.): Mythos Frau. Projektionen und Inszenierungen im Patriarchat. Berlin (publica)

Hollstein, W. (1990): Die Männer - Vorwärts oder zurück? Stuttgart (Deutsche Verlags-Anstalt)

Männerzentrum - Informationszentrum für Männerfragen e.V., Frankfurt am Main, o.J., ca. 1995

"Männer gegen Männergewalt": Rechtsstreit um eingetragenes Warenzeichen (1995). In: Moritz. Zeitschrift für Männer in Bewegung, Nr. 25, 5

Männerbilder. Geschichten und Portokolle von Männern. (1976) München (Trikont)

Männerbüro e.V. Göttingen" (1995): Programm "Körperorientierte Männerseminare 1996"

Männerbüro in der Ev. Kirche in Hessen und Nassau (1995): Programm 1995

Mannege - Information und Beratung für Männer, Berlin (o.J., ca. 1995): Programmheft "Männer(l)eben" 

Münchner Informationszentrum für Männer (1993): Fünfjahresbericht

Paaßen, G. (1995): Eine runde Sache ... In: moritz. Zeitschrift für Männer in Bewegung. Nr. 26/27, 9)

Pilgrim, V.E. (1977): Manifest für den freien Mann. München (Trikont)

Rutherford, J. (1992): Men's Silences. Predicaments in masculinity. London, New York (Routledge)

Wieck, W. (1987): Männer lassen lieben. Die Sucht nach der Frau. Stuttgart (Kreuz)

Wieck, W. (1992): Söhne wollen Väter. Wider die weibliche Umklammerung. Hamburg (Hoffmann und Campe)

 


up