HOME    http://www.eurowrc.org/   >  Contributions  >  EuroWRC in Deutsch

 



 

 

 

Täterorientierte Maßnahmen
Gerhard Hafner
Freitag April 2000

UNGELIEBTES KIND*Die Arbeit mit gewalttätigen Männern

Herr Boll (Name geändert), 39 Jahre alt, beschäftigt zur Zeit als Fassadenputzer, hatte während eines heftigen Streits ein Bügeleisen gegen seine Partnerin geworfen, hatte sie allerdings nicht verletzt. Im Hauptverhandlungstermin trat der Angeklagte gegenüber seiner damaligen Partnerin aggressiv auf und unterbrach sie mehrfach während ihrer Schilderung des Sachverhalts.

Herr Boll war kein unbeschriebenes Blatt. Bereits mit 19 Jahren wurde er von einem Landgericht wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Nötigung und Aussetzung zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt, wovon ein Rest zur Bewährung ausgesetzt und nach Verlängerung der Bewährungszeit schließlich erlassen wurde. Wegen eines Verkehrsdelikts wurde er bereits zu vier Monaten Freiheitsstrafe und wegen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Bedrohung zu sieben Monaten Freiheitsstrafe, ausgesetzt jeweils auf Bewährung, verurteilt. Herr Boll wurde wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt, und er wurde angewiesen, eine Therapie mit dem Themenkreis "Überwindung von Gewalt und Aggressionsverhalten gegenüber Frauen" aufzunehmen.

Herr Boll ist kein Ausnahmefall. Er wurde von der Bewährungshilfe in einen Sozialen Trainingskurs für gewalttätige Männer geschickt - fast allesamt sind dies vorbestrafte Männer. Männergewalt gegen Frauen kommt in allen Schichten vor, dies haben alle wissenschaftlichen Untersuchungen ergeben. Doch in diesen Kurs, an dem Herr Boll ein halbes Jahr lang teilnehmen muss, wenn er nicht in den Knast will, wurden kein gewalttätiger Lehrer oder Arzt gesteckt. Die Straftäter entstammen weitgehend einer Schicht, in der Wirtshausschlägereien und Ärger mit der Polizei zum Alltag gehören, und auch mal ein Knastaufenthalt vorkommen kann. Ob diese Auslese des Klientels ein anfängliches Phänomen ist, bleibt abzuwarten. Doch die Gefahr ist groß, dass sich der gewalttätige Bürgersmann den Mühlen der Justiz entzieht, weil er nicht vorbestraft ist und den besseren Rechtsanwalt hat. Entwickelt sich die Täterarbeit zur sozialpädagogischen Betreuung der Unterschicht?

"Ran an die Täter" hieß die Devise in den neunziger Jahren. Frauen und Kinder sollen nicht mehr vor dem prügelnden Ehemann flüchten müssen, sondern die Täter müssen gehen, und vor allem: sie müssen ihr Verhalten ändern. Die Überlegungen, dass der Aufbau eines Netzes von Frauenhäusern und Beratungsstellen in den letzten zwei Jahrzehnten nicht ausreichte, um die Gewalt gegen Frauen abzubauen, ist in den letzten zehn Jahren gebetsmühlenhaft wiederholt worden.

Zweifellos gibt es auch Gewalt von Frauen gegenüber ihren Partnern. DAIP (Domestic Abuse Intervention Project) arbeitete im ersten Jahrzehnt seines Bestehens mit knapp 100 Frauen, die ihre Partner physisch angriffen. Doch dies sind lediglich 3,5 Prozent der Täter, die an dieses Projekt von Gerichten überwiesen wurden. Schätzungsweise zwischen 3 bis 9 Prozent der häuslichen Gewalttäter sind weiblich.

Der Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen hat zum Ziel, "bei den Tätern einen Prozess zur Änderung ihres gewalttätigen Verhaltens einzuleiten." Täter sollen - wie es so schön heißt - in Verantwortung genommen werden, indem sie mit schärferen staatlichen Reaktionen rechnen müssen. Während häusliche Gewalt bisher oft nur in besonders schweren Fällen verfolgt wurde, will der Staat jetzt Gewalttätern das Unrecht ihres Handelns vor Augen führen, zum Beispiel durch die vereinfachte Zuweisung der ehelichen Wohnung und Kontakt- und Näherungsverbote.

Das Interventionsmodell wurde seit Beginn der neunziger Jahre - noch unter CDU-Frauenministerinnen - aus den USA importiert. Das in Deutschland bekannteste dieser "Community Intervention Projects" ist das Domestic Abuse Intervention Project (DAIP) in Duluth, einem Städtchen in Minnesota mit circa 90.000 EinwohnerInnen. Das mit Bundes- und Landesmitteln unterstützte Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt (BIG) hatte DAIP zum Vorbild und erreichte eine engere Kooperation von Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichten, Frauenhäusern etc. Während Polizeibeamte ihre Einsätze früher oft als "Familienstreitigkeiten" ad acta legten, werden sie jetzt dank klarer Anweisungen und gezielter Fortbildung als "häusliche Gewalt" verfolgt. Gewalttaten gegen die Partnerin gelten inzwischen auch als Offizialdelikt, werden also von der Staats- oder Amtsanwaltschaft verfolgt, so dass nicht das Gewaltopfer den Strafantrag stellen muss. Sehr oft zogen Frauen ihre Anzeige wieder zurück, weil der Täter Druck auf sie ausübte. Das Berliner Interventionsprojekt ist ein Vorzeigeprojekt der Ministerin Christine Bergmann, früher Frauensenatorin in Berlin, inzwischen Frauenministerin im Bund. Wie Herr Boll wurden die ersten Täter verurteilt, teilweise im Rahmen von beschleunigten Verfahren.

Zentraler Bestandteil des Aktionsplans sind "täterorientierte Maßnahmen", die Verhaltensänderungen bewirken sollen. Die Teilnahme an einem Sozialen Trainingskurs soll, so der Aktionsplan, "dem Täter die Gelegenheit geben, Problem- und Unrechtsbewusstsein sowie Empathie mit dem Opfer zu entwickeln und ein Anstoß sein, weitergehende Angebote von (Männer-) Beratungsstellen zu nutzen."

Gewalttätige Männer konnten bislang schon von sich aus eine Beratungsstelle aufsuchen, in Hamburg zum Beispiel die Beratungsstelle "Männer gegen Männer-Gewalt", die seit Mitte der achtziger Jahre aktiv ist. In Frankfurt am Main, München, Hannover, Berlin, Heidelberg und vielen anderen Städten können sich problembewusste Männer bei den lokalen Männerberatungsstellen Hilfe holen - wenn sie denn wollen. Gemessen an der Masse der Verbreitung der häuslichen Gewalt, bleibt dies jedoch die Ausnahme. Beratungen auf freiwilliger Basis erreicht nur eine Minderheit. Männerbüros und Männerzentren sprechen traditionell eher die Mittelschicht an.

Die Arbeit mit verurteilten Männern, also die Täterarbeit feministischer Provenienz, erbost den Hamburger Verein aufs Äußerste. Ursprünglich als Selbsthilfegruppe gegründet verstehen die Hamburger Berater ihre Arbeit als politische Arbeit für Männer. "Wir ergreifen Partei für den Mann. Auch für den, der gewalttätig ist, nicht erst, wenn er der Gewalt abgeschworen hat." Nur Männer, die freiwillig kommen, nehmen sie in ihre Kurse auf, ebenfalls Männer, die von ihren Partnerinnen geschickt werden, quasi eine eheliche Beratungsauflage aufgebrummt bekamen. Gegenüber sozialen Trainingskursen, die mit verurteilten Straftätern arbeiten, polemisierte der Hamburger Verein: "Gewaltarbeit wird international nur zu gern als Arbeit gegen Männer, als Ausagieren von Männerhass missbraucht."

Auf die Arbeit mit Freiwilligen, mithin auf die Einsicht der Männer zu hoffen, ist für Frauen oft fatal und für Politikerinnen schlicht unerträglich - nicht nur in der Frage der Gewalt. Dennoch scheint die Täterarbeit ein ungeliebtes Kind. Obwohl sie ein wichtiger Baustein der Interventionsprojekte ist, ging es einigen Frauen gegen den Strich, sich mit den Misshandlern und ihrer Psyche zu beschäftigen. "Therapie für Täter" war oft ein Rotes Tuch für gestandene Feministinnen.

Auf der anderen Seite tun sich Psychologen und Sozialarbeiter sehr schwer damit, Gewalt als eigenständiges Problem zu behandeln und es nicht in den Rubriken "Eheprobleme" oder "Kommunikationsschwierigkeiten" abzulegen. So wird in vielen Familienberatungsstellen das Thema immer noch als Problem abgetan, bei dem beide, Frau und Mann, ihren gleich gewichteten Anteil haben. Nicht zuletzt widmen sich auch Männerberater lieber den positiven Seiten der Männlichkeit und bedienen das zahlungskräftige YAVIS-Klientel: young, attractive, verbal, intelligent, successful.

Womit man beim Hauptproblem angekommen ist, dem Geld. Prinzipiell sollten die Verursacher für die Finanzierung der Programme aufkommen - doch hier ist kaum etwas zu holen. In den USA kämpfen besonders Beratungsstellen für Gewalttäter in armen, nicht-weißen Kommunen um ihre Existenz. Viele Gemeinden besitzen lediglich Einrichtungen für Selbstzahler. Da niemand die Vernetzungsaktivitäten finanziert, fällt oft die Beteiligung an den Kommunalen Interventionsprojekten weg.

Zwar beschloss bereits 1994 die Frauenministerinnenkonferenz die Schaffung von Beratungsangeboten für gewalttätige Männer und sah ein bedarfsdeckendes Netz von Beratungsangeboten gegen Männergewalt vor. Doch dieses Vorhaben blieb Papier. Die benötigten Mittel dürfen nicht zu Lasten von Frauenprojekten gehen - dies ist die einhellige Meinung aller Beteiligten. Männerberatungsstellen auf Kosten von Frauenhäuser lehnen alle ab. Fast nur Frauen kümmern sich um das Thema "Häusliche Gewalt", und sie setzen sich verständlicherweise dafür ein, das wenige Geld für Frauenprojekte auszugeben. Eine Lobby für die Täterarbeit gibt es nicht. In den USA geht man davon aus, dass circa Zweidrittel derjenigen Männer gewaltlos werden, die den Kurs bis zum Schluss aktiv mitmachen. Doch wichtiger als die Kurse hat sich herausgestellt, dass die Gesellschaft häusliche Gewalt nicht als Bagatelle abtut, sondern wie andere Gewalt sanktioniert. Gewalttaten gegen Chefs kommen kaum vor, weil die Konsequenzen jedermann klar vor Augen stehen. Psychoarbeit für gesellschaftliche Probleme ist nur begrenzt wirksam. Der Kurs soll Herrn Boll deutlich machen, dass er für seine Gewalttat verantwortlich ist und das deutliche Konsequenzen nach sich zieht. Nicht mehr und nicht weniger.

 

 


up