Dienstag, 01. August 2000
Regionale Informationen für Hellersdorf, Hohenschönhausen,
Lichtenberg, Marzahn, Barnim und Märkisch Oderland (Ost)
«Gewalt gegen Frauen und Kinder ist kein
Kavaliersdelikt»
Heute im Interview am Dienstag: Gerhard Hafner, Leiter der Marzahner «Beratungsstelle
für Männer - gegen Gewalt»
16 339 Fälle von Körperverletzung innerhalb der Familie
registrierte die Berliner Polizei 1999, 1000 mehr als im Vorjahr. Die Täter
sind in der Regel Männer. Um mit der Bewältigung des Problems bei den
Verursachern zu beginnen, wurde im Januar 1999 in Marzahn die «Beratung
für Männer - gegen Gewalt» an der Martha-Arendsee-Straße
eingerichtet. Leiter und einziger Mitarbeiter ist Gerhard Hafner. Seit
zehn Jahren berät er gewalttätige Männer. Lokalanzeiger-Mitarbeiterin
Regina Friedrich sprach mit dem Diplom-Psychologen.
Herr Hafner, welches Ziel verfolgt die Beratungsstelle?
Gerhard Hafner: Ein Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von
Gewalt gegen Frauen sieht neben höheren Strafen auch täterorientierte
Maßnahmen wie psychosoziale Beratungen vor, um bei den Männern ein
Problem- und
Unrechtsbewusstsein und somit auch eine Verhaltensänderung zu
erreichen. Hier setzt unser Angebot an, denn oberstes Ziel ist es,
Frauen und Kinder vor weiteren häuslichen Gewalttätigkeiten und
Misshandlungen zu schützen.
Wer lässt sich bei Ihnen in der Sprechstunde beraten?
Hafner: Ich betreue drei Gruppen: Die erste sind die Freiwilligen. Bei
ihnen ist meist eine familiäre oder persönliche Krise der Anstoß,
Hilfe anzunehmen. Sie haben gemerkt, dass es wie bisher nicht
weitergehen kann, dass sie etwas ändern müssen. Die zweite Gruppe wird
von psychosozialen Einrichtungen, insbesondere den Jugendämtern, zu mir
geschickt. Da ist meist auch Gewalt gegen Kinder im Spiel. Die gewalttätigen
Männer werden an die Beratungsstelle verwiesen. Bei einigen steht schon
die Drohung im Raum, dass die Kinder aus der betroffenen Familie
genommen werden könnten. Die dritte Gruppe sind Gewalttäter, die vom
Gericht dazu verurteilt wurden, einen sozialen Trainingskurs zu
absolvieren.
Kann jeder zu Ihnen kommen?
Hafner: Jeder, der die Einsicht hat, gegen gesellschaftliche Normen
verstoßen zu haben und bemüht ist, dafür auch selbst die
Verantwortung zu übernehmen. Es darf keine schwere psychische Störung
oder akute Alkohol- oder Drogenabhängigkeit vorliegen, da überweise
ich zu den entsprechenden Einrichtungen. Die Straftäter müssen damit
einverstanden sein, dass ihre Akten von mir eingesehen werden. Nicht zu
vergessen, eine Voraussetzung sind auch gute Deutschkenntnisse.
Wie lange dauert eine Anti-Gewalt-Beratung bzw. ein sozialer
Trainingskurs?
Hafner: Das soziale Training für verurteilte Täter dauert ein halbes
Jahr, zwei Stunden pro Woche. Acht Männer nehmen derzeit teil. Wie sie
zur Beratung kommen, ist individuell verschieden. Die meisten kommen
leider nur zu einer Krisenberatung mit ein oder zwei, höchstens fünf
Beratungen. Für eine wirkliche Veränderung des Verhaltens ist aber
mindestens ein halbes Jahr notwendig.Eine Gruppe hat gerade angefangen,
nimmt noch Teilnehmer auf.
Was erwartet die Männer bei Ihnen?
Hafner: Die Auseinandersetzung mit traditionellen Geschlechterrollen,
die von Macht und Kontrolle gegenüber Frauen geprägt sind. Dazu gehört
auch die Vermittlung eines stabilen Selbstwertgefühls, die Kompensation
sozialer und
kommunikativer Defizite und Möglichkeiten der Stressbewältigung. Für
alle Gewalttäter ist es wichtig, dass sie sich mit ihrer Tat
detailliert auseinandersetzen und ihnen die Konsequenzen für Opfer und
Täter deutlich werden.
Die Männer lernen Verhaltenstechniken, um eskalierende Situationen
rechtzeitig zu erkennen und zu beenden. Ein Mann, der schon 15 Sitzungen
hinter sich hatte, erzählte in der Gruppe, dass er sich von seiner Frau
provoziert fühlte. «Da habe ich tief Luft geholt und bin einfach raus
gegangen. Früher hätte ich zugeschlagen.» Das sehe ich schon als
Erfolg des Kurses.
Kann das weitere Gewalttätigkeiten verhindern?
Hafner: Ich vermittle den Männern, dass ihnen nicht einfach «die Hand
ausgerutscht» ist, sondern sie allein für ihre Taten voll
verantwortlich sind. Wenn sie sich für Gewalt entscheiden, müssen sie
dafür auch gerade stehen. Es ist gut, wenn die Gesellschaft dies
endlich nicht mehr als Bagatelle oder Kavaliersdelikt abtut.
Wo können sich Männer hinwenden, wenn sie in ein scheinbar
aussichtslose Situation geraten sind?
Hafner: Ich habe jeden Freitag von 15 bis 18 Uhr Sprechstunde in den Räumen
der Volkssolidarität Marzahn an der Martha-Arendsee-Straße 4. Ab 1.
September berate ich an der Rudolf-Leonhard-Straße 7. Termine können
freitags unter Tel.: 541 39 32 vereinbart werden. Von
Montag bis Donnerstag bin ich auch unter Tel.: 785 98 25
erreichbar.
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