Weiße-Schleifen-Kampagne:
Auf der ganzen Welt organisieren sich immer mehr Männer, die dabei helfen wollen, dass Gewalt gegen Frauen geächtet
wird. Sie tragen weiße Schleifen.
Die ersten Gruppen gab es in Kanada. Jetzt hat die Europäische Union das Projekt übernommen.
Die
Alltäglichkeit der Männergewalt
Von Ulrike Baureithel
Wenn der Vorsitzende der Europäischen Kommission, Romano Prody, derzeit vor den
Kameras posiert, wird man vergebens
nach einer weißen Schleife an seinem Jackett suchen. Diese hatte ihm zwar im vergangenen Dezember die
Europaabgeordnete Lissy Gröner
medienwirksam an die Brust gesteckt, um die europäische „Kampagne zur Sensibilisierung
für die Gewalt gegen Frauen“ einzuleiten. Mit den symbolischen „weißen
Schleifen“ am Revers sollten Prody und das Europäische Parlament öffentlich
demonstrieren, dass häusliche Gewalt von der Gesellschaft nicht weiterhin
als „Kavaliersdelikt“ hingenommen werden soll. Aber er trägt sie nicht immer.
Genausowenig, wie der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner (SPD).
Der hatte sich im Mai diesen Jahres auch einer plakativen, landesweiten „Weiße-Schleife-Kampagne“
zusammen mit weiteren 90 Männern angeschlossen. Ihm folgte im August der damalige PDS-Vorsitzende Lothar Bisky,
der anlässlich des Weltfrauenmarsches
häusliche Gewalt auf die politische Agenda setzte und seine Geschlechtsgenossen
aufforderte, „nicht wegzusehen“, wenn Frauen beleidigt, belästigt, misshandelt werden: „Wer schweigt,
stimmt zu!“
Mögen einzelne Politiker diese Aktion aus politischer Opportunität unterstützen
und Männer wie Bisky sich die weiße
Schleife auch nur „anlassgebunden“ anstecken;
die Vorbildfunktion, die das öffentliche Bekenntnis von Prominenten gegen
häusliche Gewalt hat, sollte nicht unterschätzt werden. In Köln unterstützten
vergangenes Jahr beispielsweise 80 Männer aus Politik, Sport oder Showbusiness
eine Plakataktion „Kölner Männer gegen Männergewalt“; doch nicht nur
„Promis“, sondern vor allem Otto Normalverbraucher ist gefragt: „Männer müssen
einräumen, dass häusliche Gewalt existiert und Frauen Opfer sind“, erklärt
der in Brüssel arbeitende europäische Koordinator der Aktion, Roland Mayerl.
Gerade jüngere Männer sollen sehen, „dass Gewalt gegen Frauen nicht geduldet
wird. Die Männer, die eine Schleife tragen, sagen nicht ,Ich bin ein guter
Mensch‘, sondern ,Ich bin gegen diese Art von Gewalt, ich will diese Verhältnisse
ändern.‘“
Ihren Anfang nahm die so genannte „White Ribbon Campaign“ in Kanada, als vor
über zehn Jahren das Massaker an
14 Studentinnen in Montreal das Land paralysierte.
Aber erst zwei Jahre später, Ende 1991, brachen Männer das Schweigen
und organisierten die weltweit bislang größte Kampagne von Männern gegen
Gewalt an Frauen. Ende der Neunzigerjahre schließlich „schwappte“ die
Idee nach Europa, insbesondere in den skandinavischen Ländern fand die Aktion
Widerhall. Mittlerweile ist das Projekt EU-weit für eine Laufzeit von drei
Jahren institutionalisiert und Mayerl hofft, dass nach Österreich, der Schweiz
oder Griechenland in den nächsten Jahren auch Länder wie Bulgarien oder
Litauen dazustoßen.
Die Aufgabe auf europäischer Ebene besteht zunächst darin, bereits vorhandene Initiativen
bekannt zu machen und zu vernetzen und den Austausch zwischen den einzelnen Ebenen – etwa zwischen Regierungen und lokalen
Projekten – zu organisieren.
Besondere Bedeutung misst Mayerl den lokalen Aktionen und Initiativen
zu, Brüssel könne hier nur als koordinierende „Verteilerstelle“ tätig
werden.
In der Bundesrepublik, das berichtet Gerhard Hafner, der mit dem gemeinnützigen
Verein „Mannsarde – gegen Männergewalt“
die deutsche Koordination übernommen hat,
wird der 25. November, der „Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen“, zeigen,
in welchem Maße die Kampagne greift. In Berlin startet eine mehrere Jahre
dauernde Kampagne „Gemeinsam gegen Männergewalt“, die getragen wird von
einem vorwiegend aus Frauenprojekten bestehenden Bündnis und dem Vorbild der Edinburgher
„Zero Tolerance of violence against women and children“ und der Münchner
Kampagne „Aktiv gegen Männergewalt“ folgt. Auch in vielen anderen deutschen
Städten sind Veranstaltungen geplant.
Vorangegangen sind in diesem Jahr bereits Aktionen, an denen sich zahlreiche Vereine
von Frauen und (kritischen) Männern beteiligten: In Hameln zum Beispiel erklärte
die Herren-Handballmannschaft SG VfL/BHW Hameln als Träger der weißen Schleife,
sich öffentlich gegen Gewalt einsetzen zu wollen. Gerade Sportler, aber
auch Popstars machen sich gut als „Zugpferde“ der Aktion, weil sie für
Jugendliche eine besondere Vorbildfunktion haben.
Dass es dennoch gerade Frauen sind, die mit Power die „Weiße-Schleife-Kampagne“
auf den Weg bringen, findet Hafner,
der als Psychologe gewalttätige Männer berät und soziale Trainingskurse für verurteilte Männer durchführt,
nicht verwunderlich: „Frauen sind
ungeduldiger beim Thema Männergewalt, Männer gehen schneller zur Tagesordnung über. Sie spüren diese Gewalt
durchaus, aber anders als Frauen,
indirekt. In meinen Gewaltgruppen erlebe ich Männer, die erst unter den
Folgen ihrer Dominanzansprüche leiden, wenn ihre Ehen zerbrechen, die Kinder sie
meiden.“ Doch in der Regel wird über die Alltäglichkeit von Männergewalt hinweggesehen,
weil die Vorstellung herrscht: „Mich betrifft das nicht.“
Von der „besonderen weiblichen Betroffenheit“ sprechen auch die Statistiken:
Über 40'000 Frauen suchen in der
Bundesrepublik jährlich Frauenhäuser als Zufluchtsorte auf, und die Dunkelziffer häuslicher Gewalt
gegen Frauen und Kinder ist, nach
Schätzungen von Kriminologen, zwölfmal so hoch. Der „Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt
gegen Frauen“ sollte ursprünglich ein Gesamtkonzept bereitstellen, das Prävention,
Intervention und Öffentlichkeitsarbeit
umfasst.
Der politische Handlungsbedarf wird offenbar, wenn man sich die genannte Zahl vor
Augen hält und den Umstand, dass häusliche Gewalt in den meisten Fällen nicht
aktenkundig wird. Wenn dies in Ausnahmefällen dennoch geschieht, werden die
Verfahren entweder eingestellt, oder die Täter bleiben mangels entsprechender
psychosozialer Beratungsangebote auf sich selbst zurückgeworfen. Als
„Skandal“, so Hafner, ist es zu werten, „dass Frauen bis heute noch aus
der Familienwohnung flüchten müssen,
während prügelnde Männer dort wohnen bleiben können,
weil das seit Frühjahr existierende Gewaltschutzgesetz noch immer nicht verabschiedet
worden ist. Erst wenn Männer derartige einschneidende Konsequenzen spüren,
werden sie genötigt sein, ihr Verhalten zu ändern.“
Die Ausweisung aus der Familienwohnung, wie sie etwa schon in Österreich üblich
ist, wäre eine der Regelungen, von denen sich Roland Mayerl wünscht, dass sie EU-weit
übernommen werden. Denn die juristische Situation zu häuslicher Gewalt ist in den Ländern der EU sehr verschieden, und wünschenswert
wäre, „dass der höchste
Standard gilt“. In Kanada, erzählt er, sei es außerdem mittlerweile Pflicht, „dass sich Männer, bevor sie in die gemeinsame
Wohnung zurückkehren, einer
mehrere Monate dauernden ,Anti-Gewalt-Beratung‘ unterziehen“. In den europäischen
Ländern ist dies – nicht nur mangels entsprechender Angebote – Zukunftsmusik.
Mayerl sieht in der Schule ein wesentliches Gelenkstück der Anti-Gewalt-Erziehung,
nicht nur in Bezug auf den häuslichen Bereich. „Wichtig ist,
dass man die Aktion an die Schulen bringt, da geht es natürlich nicht um Schleifen,
sondern um die Frage, wie man traditionelle Geschlechterrollen aufbricht,
neue Orientierungen gibt.“ Er selbst habe, fügt er, nicht ohne Selbstironie,
hinzu,"viele Jahre gebraucht, bis das bei mir im Herzen angekommen
ist“.
Kontakt: Mannsarde – gegen Männergewalt e.V., Kreuzbergstraße 71,
10965 Berlin, 030/7859825,
© 2000 Badische Zeitung |