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Die Nürnberger Kampagne
„WAS TUN?! - gegen Männergewalt an Frauen und Kindern"


Eine gemeinsame Initiative der Frauenbeauftragten der Stadt Nürnberg, des Frauenhauses Nürnberg, des Kinderschutzbundes Nürnberg, des Frauennotrufs Nürnberg e.V. und von Wildwasser e.V. Nürnberg
Koordination: Die Frauenbeauftragte der Stadt Nürnberg/Frauennotruf Nürnberg e.V.

1. Männergewalt gegen Frauen und Kinder

In der Initiativgruppe zur Nürnberger Kampagne „WAS TUN?! - gegen Männergewalt an Frauen und Kindern" haben sich Organisationen zusammengefunden, die in der Kommune in der wir leben, ein entschiedenes Zeichen gegen Männergewalt an Frauen und Kindern setzen wollen, ein Zeichen, das über den Tag hinaus wirksam werden soll.

Gewalt gegen Frauen und Kinder hat viele Gesichter. Sie ist Ausdruck historisch bedingter ungleicher Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern und sie ist Ausdruck der Nichtachtung der Schwächeren. Männliche Gewalttätigkeit gegenüber Frauen und Kindern ist weder natürlich noch biologisch verankert. Gewalt gegen Frauen und Kinder dient letztendlich der Aufrechterhaltung der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen. Die Angst vor (sexuellen) Übergriffen hindert Frauen daran, ein selbständiges Leben zu führen und schränkt sie in ihrer Bewegungsfreiheit ein. Wir verstehen unter Gewalt gegen Frauen und Kinder jede Handlung, die einer Frau oder einem Kind Schaden oder Leid körperlicher, sexueller oder seelischer Art zufügt, einschließlich der Androhung solcher Handlungen.

Gewalt gegen Frauen und Kinder wird von Männern im privaten Raum der Familie ausgeübt. Die Familie kann ein Ort positiver Werte sein, allzu oft aber ist sie ein Ort, an dem Frauen und Kinder misshandelt, sexuell missbraucht werden und ihre persönliche Freiheit massiv eingeschränkt wird. Ein Ort auch, an dem das Bild der abhängigen und wertlosen Frau an die nächste Generation weitergegeben wird ebenso wie das Bild des Mannes, der seine Macht durch körperliche, sexuelle oder seelische Gewalt ausdrücken kann.

Gewalt gegen Frauen und Kinder wird von Männern im öffentlichen Raum ausgeübt. Am Arbeitsplatz, in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Gaststätten und auf der Straße finden sexuelle Übergriffe, Misshandlungen, sexueller Missbrauch oder sexuelle Belästigungen statt.

Ökonomische Bedingungen, wie hohe Frauenarbeitslosigkeit, materielle Abhängigkeiten sowie das fehlende eigenständige Aufenthaltsrecht von ausländischen Frauen, verstärken die Ausweglosigkeit der Gewaltsituation. Kinder sind in diesem Kreislauf der Gewalt als direkte Opfer eingebunden oder als Zeugen von Misshandlungen und Quälereien, die ihre Mütter erleiden.

2. Männergewalt gegen Frauen und Kinder - Interventionsansätze

Gewalt gegen Frauen und Kinder ist durch die beharrlichen Anstrengungen v. a. von Frauenprojekten und Frauenberatungsstellen zu einem Thema geworden. Ein Tabu scheint gebrochen, Statistiken, Medien und nicht zuletzt die Politik beschäftigen sich mit dem früher Unaussprechlichen. Auf der Ebene der Analyse und der Information ist einiges erreicht worden. Bereits 1986 definierte das Europäische Parlament Gewalt gegen Frauen als Problematik mit besonderem Handlungsbedarf. 1993 wurde die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen zum Inhalt einer Deklaration der Vereinten Nationen. Ein deutliches Zeichen wurde auch auf der Welt-Menschenrechtskonferenz 1993 in Wien gesetzt, als dort die Gewalt gegen Frauen ausdrücklich als Menschenrechtsverletzung gebrandmarkt wurde.
1997 wurde nach langen Auseinandersetzungen im Deutschen Bundestag die Strafgesetzgebung zu Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung reformiert und damit auch Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand eingeführt.

In den vergangenen zwanzig Jahren gelang es, eine Vielzahl von Einrichtungen zu gründen, die von männlicher Gewalt betroffene Frauen und Kinder unterstützen. Den Opfern männlicher Gewalt können in gewissem Umfang Beratung, Therapie und Zufluchtsmöglichkeiten angeboten werden. Die Forderung, diese Unterstützungsangebote durch staatliche und kommunale Finanzierung abzusichern, wurde zum Teil durchgesetzt (Teilfinanzierung der Notrufe für vergewaltigte Frauen in Bayern, Frauenhausfinanzierung) .

So können 1998 in Nürnberg die Einrichtungen Wildwasser e.V. und der Frauennotruf Nürnberg e. V. auf ihr 10- bzw. 15-jähriges Bestehen zurückblicken und das Nürnberger Frauenhaus besteht 1999 seit 20 Jahren. Die Tatsache, daß diese Einrichtungen als kompetente und anerkannte Anlaufstellen unter teils widrigen Bedingungen ihre Arbeit leisten können, ist als Teil erfolgreicher Gegenwehr gegen Männergewalt an Frauen und Kindern zu werten. Dass diese Einrichtungen ständig steigende KlientInnenzahlen verzeichnen, ist ein entscheidender Grund, um das Thema Männergewalt an Frauen und Kindern erneut ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Denn die errungenen Verbesserungen und die aktuellen Unterstützungsangebote bieten punktuelle Entlastung für die Opfer. Eine langfristige und tiefgreifende Veränderung des gesellschaftlichen Bewusstseins und der Strukturen, die Gewalt von Männern an Frauen und Kindern begünstigen, steht aber bislang noch aus.

3.Die Nürnberger Kampagne „WAS TUN?! - gegen Männergewalt an Frauen und Kindern"

Der Blick auf die polizeilich dokumentierten Zahlen zu sexueller Gewalt an Frauen und Kindern in Mittelfranken zeigt für das Jahr 1997 einen Anstieg um durchschnittlich 15 % im Vergleich zum Vorjahr. Zur Anzeige kamen in diesem Bereich 1.094 Fälle von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, davon rund 250 Fälle von vollendeter und versuchter Vergewaltigung und sexueller Nötigung sowie rund 450 Fälle von versuchtem oder vollendetem sexuellen Missbrauch an Kindern.

Die Polizeistatistik erfasst die Fälle, die zur Anzeige gelangen, stellt also nur die berühmte Spitze des Eisbergs dar. Männer, die sexuelle Gewalt ausüben, die Frauen und Kinder schlagen und malträtieren, können häufig mit dem Schweigen ihrer Opfer rechnen. Die Opfer schweigen aus Scham und dem Glauben an die eigene Mitschuld - besonders dann, wenn die Gewalt von Männern aus dem sozialen Nahraum ausgeübt wird. Häusliche Gewalt wird gesellschaftlich und dementsprechend auch vielfach von ihren Opfern als Privatsache gewertet. Noch mehr können Männer sich auf der „sicheren Seite" fühlen, wenn sie „nur" die Bewegungsmöglichkeiten von Frauen beschränken, soziale Kontakte kontrollieren und zerstören oder mit (sexueller) Gewalt drohen. Diese Übergriffe werden noch immer allzu häufig bagatellisiert und die Opfer nicht ernstgenommen.

Unterstützung der Opfer ist wichtig und unverzichtbar in einer Gesellschaft, die sich als zivil und human versteht. Wichtig ist aber auch, wirksame und langfristige Strategien zur Prävention zu entwickeln.
Es ist ebenso unabdingbar, die Täter zu benennen und die Tat eindeutig und unmissverständlich zu kriminalisieren. Schutz, Unterstützung und geeignete Rahmenbedingungen für Frauen und Kinder müssen zusammenspielen mit der gesellschaftlichen Ächtung der Täter und der Tat.

Dieses wirksame Zusammenspiel kann der Gegenwehr gegen männliche Gewalt eine neue Qualität geben. Erstmals in Europa setzte die Stadtverwaltung der schottischen Stadt Edinburgh dieses Konzept um. Von Ende 1992 bis Mitte 1994 wurde dort die Kampagne „Zero tolerance of violence against women" durchgeführt. Vor allem eine großangelegte Plakataktion machte in ganz Edinburgh deutlich: Es gibt keine Rechtfertigung und Entschuldigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder.

Angeregt durch den großen Erfolg der Kampagne in Edinburgh wurde im Januar 1996 in München von engagierten Frauen und VertreterInnen von Einrichtungen und Institutionen das Münchenplenum ins Leben gerufen, in dem die seit Oktober 1997 laufende Münchener Kampagne „Aktiv gegen Männergewalt" geplant und mit Hilfe einer Koordinationsstelle organisiert wird. Den Schwerpunkt der Kampagne bildet die Vermittlung von Handlungsbereitschaft und Handlungskompetenz für professioneller HelferInnen und genauso für Privatpersonen, um gegen Gewalt in ihrem Umfeld einschreiten zu können.

Die Nürnberger Kampagne „WAS TUN?! - gegen Männergewalt an Frauen und Kindern" knüpfte an die Aktionen in Edinburgh und München an, um an der neuen Qualität der Gegenwehr gegen Gewalt an Frauen und Kindern aktiv mitarbeiten. Auf Anregung der Frauenbeauftragten der Stadt Nürnberg hat sich im März diesen Jahres eine Initiativgruppe zusammengefunden. Ziel des Zusammenschlusses war die Planung und Durchführung einer Kampagne, deren zentrales Thema die Gewalt ist, die von Männern gegen Frauen und Kinder ausgeübt wird.

Ziel der Kampagne war es, über das Ausmaß der Gewalt und die Konsequenzen für die Betroffenen zu informieren. Durch Informationsveranstaltungen und Diskussionsforen zu unterschiedlichen Aspekten des Themas sollten Denk- und vor allem Handlungsanstöße gegeben werden.

Ziel der Kampagne war es, die Passivität jeder Einzelnen/jedes Einzelnen aufzubrechen und damit die gesellschaftliche Duldung von Männergewalt auf lange Sicht unmöglich zu machen. Die Duldung von Männergewalt gegen Frauen und Kinder muss der Ächtung und Kriminalisierung weichen. Männergewalt ist kein Frauenproblem, keine Erscheinung am Rande unserer Gesellschaft, sondern in der Struktur unserer Gesellschaft tief verankert und überall anzutreffen. Nur wenn die Kampagne von einem breiten Bündnis von Einzelpersonen, Gruppen, Einrichtungen und Institutionen getragen wird, kann eine klare Absage an Männergewalt formuliert und in Taten umgesetzt werden.

Ziel der Kampagne war es, Kooperationsnetze und institutionenübergreifende Arbeitskreise aufzubauen und zu aktivieren, in denen etwa Beratungseinrichtungen, städtische Institutionen, Polizei und Justiz zusammenarbeiten. Nur mit einem breit angelegten Aktionsbündnis kann der Rahmen des bisher Erreichten überwunden und tiefgreifende Veränderungen erzielt werden.

Nürnberg, im Juni 1998
Der Initiativkreis

Weitere Infos siehe Dokumentation der Kampagne "WAS TUN?!"-gegen Männergewalt an Frauen und Kindern (August 1999), erhältlich im Frauenbüro

 


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