Neues zum Thema Männlichkeit

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Neues zum Thema Männlichkeit

 

SCHWINDELNDE MÄNNER

Neues zum Thema Männlichkeit

[Pretender Men - What’s new about masculinity]
[Des hommes simulateurs - Quoi de neuf en matière de masculinité]

Siegfried Kaltenecker
Siegfried.Kaltenecker(AT)univie.ac.at

„Daß es die Körper und die Sexualität der Männer sind, die den wahrhaft „dunklen Kontinent" dieser Gesellschaft darstellen", schreibt die britische Kulturwissenschaftlerin Rosalind Coward 1984. Weit über die provokante Verkehrung des klassischen Weiblichkeitsrätsels hinaus, zeigt Coward damit einen folgenreichen Paradigmenwechsel des feministischen Denkens an. Jenseits des vielzitierten linguistic turn geht es nicht mehr um möglichst eindeutige Unterdrückungs- und Befreiungsmodelle, sondern um komplexe Differenzierungsprojekte, die nicht nur die widersprüchlichen Bewegungspotentiale von Frauen, sondern auch die bislang verborgenen Antagonismen von Männern aufzeigen.

Nachdem sich diese neuen Gender Studies bis Mitte der 90er Jahre fast ausschließlich auf den englischsprachigen Raum konzentrierten, versuchten im Laufe des letzten Jahres gleich drei Publikationen, das Thema Männlichkeiten auch hierzulande einer kritischen Diskussion zuzuführen: die von dem Berliner Kollektiv BauSteineMänner herausgegebene „Kritische Männerforschung"; der von Thomas Kühne editierte Band zur „Männergeschichte - Geschlechtergeschichte"; und die von Walter Erhart und Britta Herrmann zusammengestellte Kompilation „Wann ist der Mann ein Mann?". So sehr sich die Bücher in ihrer formalen Konzeption ähneln - alle drei sind umfangreiche Sammelbände, in denen sich nach einer programmatischen Einleitung sowohl Übersetzungen angloamerikanischer Aufsätze als auch deutsche Originalbeiträge wiederfinden -, so unterschiedliche Schwerpunkte setzen sie.Bei Thomas Kühne soll vor allem die historisch-spezifische Gestalt von Geschlechter-Macht-Verhältnissen begriffen und das zum Teil überaus unterschiedliche „Gefüge der Männlichkeiten" sichtbar gemacht werden. Die Vaterschaftskonzeptionen um 1800, die bürgerliche Männermode und vor allem die Dialektik von Männerbund und Krieg bilden die inhaltlichen Schwerpunkte, die den Variantenreichtum geschichtlicher Männlichkeitsentwürfe offenbaren.

Auch in dem von Walter Erhart und Britta Herrmann herausgegebenen Band stehen historische Fallstudien im Mittelpunkt. Vom Heraklesmythos spannt sich das Themenfeld über die Männerbünde um 1900 bis hin zu einer Queerlektüre von Doris Dörries „Männer"-Film. Gleichwohl sich diese Studien genauso dezitiert gegen die transhistorische Festschreibung psychoanalytischer Normen wenden wie die im Kühne-Band versammelten Arbeiten, geben Erhart und Herrmann auch einem theoretisch-spekulativeren Denken Raum: einem philosophischen, wie es John H. Smith mit seiner sexologischen Hinterfragung des männlichen Willens vorführt; oder jenem psychoanalysekritischen, das Paul Smith mit seinem Vas-Konzept für ein neues Zusammendenken von Männlichkeit, Körper und Sexualität darlegt.

Wider die bloße Sammlung von Einzelstudien, geht es dem BauSteineMänner-Kollektiv von Anfang an um eine umfassendere Betrachtung. Vier Abschnitte rücken die geschichtlichen Hintergründe, die theoretischen Programme, die praktischen Anwendungsgebiete und die politischen Probleme einer kritischen Männerforschung in den Mittelpunkt. Angloamerikanische Grundlagentexte wie Tim Carrigans, Robert W. Connells und John Lees Theorie hegemonialer Männlichkeit oder Michael Kaufmans Analyse der männlichen Gewalt-Triade werden erstmals auf deutsch zugänglich gemacht und durch spannende Originalbeiträge wie Christian Rüters Männer-Körper-Erforschungen oder Willi Walters Ausführungen zum Gebärneid ergänzt. Und schließlich führen Jürgen Süßenbachs psychotherapeutische Erfahrungen und die Trio Virilent-Experimente für eine niedrigschwellige psychosoziale Männerberatung auch in nicht-akademische Praxisbereiche - um eindringlich auf die Notwendigkeit, aber auch auf die Schwierigkeiten einer alltagsnahen Männerpolitisierung zu verweisen.

In dieser Hinsicht erweitern die BauSteineMänner jenes Projekt einer kritischen Sichtbarmachung, das in allen drei Männer-Bänden im Zentrum steht. Einerseits wird die gelebte Vielfalt männlicher Identitäten hervorgehoben, die eben keinerlei biologischen Essenzen entspringen, sondern historisch- und kulturspezifischen Konstruktionen. Und andererseits wird die Kontextualität spezifischer Geschlechtergeschichten aufgedeckt, die Kühne zufolge immer schon „in ein komplexes Gefüge von Macht-, Produktions- und Bedürfnisstrukturen eingebunden" sind. Derart erfordert die systematische Erhellung des neuentdeckten dunklen Kontinents stets eine dreifache Aufmerksamkeit: Erstens müssen die vielfältigen Diskurs- und Repräsentationsformen von Männlichkeit ins Blickfeld gerückt werden; zweitens geht es um die Beleuchtung der ritualisierten Reproduktion von Geschlechter- und Begehrenshierarchien; und drittens darf die subjektive Wahrnehmung des Mann-Seins nicht aus den Augen verloren werden.

Ungeachtet der diesbezüglichen Unaufmerksamkeit vieler AutorInnen, verdient der prinzipielle Versuch Anerkennung, diesem anderen Denken von Männlichkeits- bzw. Geschlechterverhältnissen auch im deutschsprachigen Raum eine breitere Öffentlichkeit zu verschaffen. Zugleich erscheint es mir jedoch durchaus fragwürdig, wer hier welche Inhalte in welcher Form zur Diskussion stellt. Mit welchem Selbstverständnis werden etwa 10, zum Teil sogar 20 Jahre alte Texte als „neue Ansätze" verkauft? Wieso werden methodisch wie politisch problematische Texte zu Klassikern hochstilisiert, ohne mit einem Wort auf deren kritische Revision einzugehen? Und warum wird kein Konzept einer Text- und AutorInnenrepräsentation verfolgt, das die unterschiedlichen Betroffenheiten, die unterschiedlichen Erkenntnisinteressen und die dementsprechend unterschiedlichen Forschungsperspektiven von feministischen, lesbischwulen und heterosexuellen MännlichkeitskritikerInnen sichtbar macht? Soll die Männlichkeit einmal mehr allein den weißen Hetero-Männern gehören - und damit auch ihre Erforschung?

Vor dem Hintergrund dieser offenen Fragen löst die Vehemenz, mit der vor allem im BauSteineMänner-Band die Notwendigkeit einer „männerspezifischen" Institutionalisierung veranschlagt wird, bei mir eine ganz eigene Form des Gender Trouble aus. Hier gerieren sich vermeintlich kritische Männerforscher als „Saboteure" der Männerherrschaft, um gleichzeitig auf den „eigenen Interessen als Männer" zu beharren und „zuerst einmal für mich (zu) kämpfen". Unter dem Banner einer weithin beschworenen Männerbewegung droht die Männlichkeit plötzlich zu einem Thema zu werden, das Frauen und Homosexuelle wenn schon nicht kategorisch ausschließt, so doch zumindest machtvoll auf die Plätze verweist. Einzig Christian Rüter hält an der Vor- und Umsichtigkeit fest, die männlichkeitskritischen Hetero-Männern auferlegt ist: „Während die feministische Bewegung und ihre Forschung dadurch, daß sie diskursive Zuschreibungen angenommen hat, das Machtdispositiv ein wenig zu ihren Gunsten verschieben konnte, stützt eine „Männerforschung" strukturell die alten Machtverhältnisse. Insofern liegt der Verdacht nahe, daß das, was sich heute „Männerforschung" nennen will und gezielt um dieses Label ringt, der vielleicht unbewußte Versuch ist, alte Sicherheiten und Spielräume zurückzugewinnen".

Zweifellos ist die Bedeutsamkeit einer profeministisch-homophobiekritischen Auseinandersetzung hervorzuheben. Rüters Warnung vor dem blindwütigen Etablierungsstreben von Männerforschern richtet das Augenmerk jedoch nachdrücklich auf den blinden Flecken einer Männermacht, die sich bewußt wie unbewußt auf ein komplexes Netz hierarchischer Differenzierungen stützen kann. „Hegemoniale Männlichkeit" nennen Carrigan, Connell und Lee das System dieser Differenzierungen, die weißen, heterosexuellen Mittel- und Oberschichts-Männern zwar keine lückenlose, aber eine flächendeckende Überlegenheit in allen gesellschaftlichen Bereichen sichert.

In Anbetracht dieser wahrhaft globalen Hegemonie nimmt die in allen drei Männer-Bänden dominierende Betonung der Krisenhaftigkeit, der Unsicherheit und Instabilität, gar der Fragilität von Männlichkeit rasch etwas beschwörerisches an. Unter dem Deckmantel der Dekonstruktion scheint hier eine Forschungspolitik Platz zu greifen, die das eigene Tun aus seinen historisch-spezifischen Machtkontexten löst und klammheimlich einer neuen Kolonisation Vorschub leistet.

Verbirgt sich hinter dem als progressiv proklamierten Gender Vertigo also doch nur ein neuer Schwindel, durch den Männer sich neue Herrschaftsfelder erobern wollen? Daß weiße Hetero-Männer mittlerweile nicht nur einen Großteil der angloamerikanischen Gender Studies-Publikationen zumindest mit-bestreiten, sondern auch einschlägige Lehrstühle besetzen, stimmt zweifellos bedenklich. Sicher bewegen sich diese forschend-lehrenden Männer nicht nur in der Form antifeministischer Instrumentalisierungen und homophober Verwerfungen. Solange die institutionell bestens verankerten Hierarchien ihre Positionen machtvoll unterstützen, bleibt ihr Tun jedoch zwangsläufig paradox. Denn tatsächlich gibt es für die, denen das System hegemonialer Männlichkeit allerorts Privilegien verspricht, wohl viel weniger zu befreien und fortschrittlich zu erkämpfen, als durch Rückzug zu verlieren und zur Disposition zu stellen.

BauSteineMänner (Hg.), Kritische Männerforschung. Neue Ansätze in der Geschlechtertheorie, Hamburg (Argument) 1996

Thomas Kühne (Hg.), Männergeschichte - Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, Frankfurt, New York (Campus) 1996

Walter Erhart, Britta Herrmann (Hg.), Wann ist der Mann ein Mann? Zur Geschichte der Männlichkeit, Stuttgart, Weimar (Metzler) 1997

 


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